„Wir reagieren auf den großen Bedarf an Eigenkapital“
Oikocredit hat aktuell 39 Mio. Euro als Mitbesitzerin in 49 Organisationen und soziale Unternehmen investiert und beabsichtigt, das Volumen bis 2015 auf 70 Mio. Euro zu erhöhen. Was steckt hinter dieser Entwicklung, welche Möglichkeiten eröffnet sie? Darüber sprachen wir mit Stefan Harpe, der seit 2005 den Bereich Kapitalbeteiligungen („Equity Investments“) bei Oikocredit International aufbaut und erweitert.
Was unterscheidet Kapitalbeteiligungen von Darlehen?
SH: Wenn wir als Teilhaberin in ein Unternehmen einsteigen, sind wir echte Partner, verbunden mit dem Schicksal des Unternehmens. Darlehen sind terminiert und haben eine feste Rückzahlhöhe. Eine Kapitalbeteiligung dagegen ist dauerhaft und sie ist Risikokapital. Wenn Darlehen nicht zurückgezahlt werden, gibt es rechtliche Möglichkeiten, sich das Geld zurückzuholen. Es gibt Garantien, Gebäude oder anderes als Sicherheiten. Eine Kapitalbeteiligung bekommt man nicht automatisch zurück.
Warum investiert Oikocredit trotzdem verstärkt in Kapitalbeteiligungen?
SH: Viele Partnerorganisationen fragen bei uns an, ob wir bereit sind, Teilhaberin zu werden. Sie wollen sich vergrößern. Sie brauchen mehr Geld, vielleicht von den Banken. Wir decken einen Bedarf an Eigenkapital, in Bereichen, in denen das wenige tun und in denen wir ein großes Potenzial zur Entwicklungsförderung sehen.
Wir haben einen langen Atem. Es geht nicht nur ums Geld, um die zehn, 20 Prozent Miteigentum. Mit einem starken und renommierten Teilhaber an ihrer Seite und mehr Eigenkapital gewinnen die Unternehmen den Banken gegenüber an Kreditwürdigkeit, können größere Darlehen aufnehmen.
Wir stellen unsere Beratung, unsere Netzwerke zur Verfügung, unsere Kompetenz bei der Leitung des Unternehmens. Wir setzen alles daran, es zu stärken.
Zum Beispiel bei Barefoot Power...
SH: Das begann als Zwei-Mann-Unternehmen. Stewart Craine und Harry Andrews setzten mit persönlichen Ersparnissen und mit Unterstützung von Freunden und Verwandten ihre Idee um: Solarleuchten für ärmere Haushalte zu entwickeln, die sicher und bezahlbar waren und die gefährlichen Kerosinlampen ersetzen konnten.
Wir wurden 2005 bei einem Geschäftsplan-Wettbewerb auf sie aufmerksam. 2007 haben wir erstmals 60.000 Euro investiert. Zuletzt im Mai 2012 waren es 630.000 Euro, als Kapitalbeteiligung und Betriebskapital in Form eines Kreditrahmens. Wir unterstützen die Entwicklung der Unternehmensstrategie und sitzen im Aufsichtsrat.
Heute hat Barefoot Power 50 Beschäftigte in Australien, China und Afrika, über 2.000 KleinunternehmerInnen verkaufen solarbetriebene Lampen und Aufladedienste für Mobiltelefone. Mehr als 400.000 Haushalte in fast 40 Ländern nutzen sie.
...oder bei Les Saveurs du Sud im Senegal
SH: Da haben wir uns immens engagiert und eine Vision geteilt. Ein Darlehen hätte nicht genügt. Die Company brauchte einen aktiven Partner. Wir haben – mit viel Energie und Mut unseres Länderbeauftragten im Senegal, Sambou Coly – ein Unternehmen mit aufgebaut.
Les Saveurs du Sud kauft Mangos auf, zahlt den Bäuerinnen und Bauern faire Preise, ungefähr fünffach höher als dort üblich, kühlt die Früchte in eigenen Anlagen und verkauft sie auf dem lokalen und internationalen Markt. 200 neue Arbeitsplätze sind entstanden, 2000 genossenschaftlich organisierte Bauern und Bäuerinen profitieren und es gibt jede Menge Ausbaupotenzial.
Übrigens sind vorher bis zu 75 Prozent der Mangos im Müll gelandet oder am Boden liegen geblieben. Soeben ist der erste Container in Holland angekommen. Die Qualität ist exzellent.
Spielen Sektoren und Regionen eine Rolle bei der Entscheidung für eine Kapitalbeteiligung?
SH: Mikrofinanz, Landwirtschaft und Erneuerbare Energien – sicher, wir müssen fokussieren. Aber wir investieren auch in Fair Trade, sind beteiligt an Divine Chocolate, wir können überall investieren, wo wir vertreten sind, wir brauchen lokale Kenntnisse. Das ist wichtig. Wir müssen oft vor Ort sein.
In Diskussionen mit Anlegern taucht mitunter die Besorgnis auf, durch große Investitionen in große Unternehmen könne sich der Charakter von Oikocredit verändern und ihr Anliegen verwässern.
SH: Im Gegenteil. Unser Anliegen ist es, Entwicklung zu fördern. Je größer das Unternehmen und unsere Beteiligung, desto größer die Möglichkeiten und die mögliche soziale Auswirkung. Größe ist wichtig. Das 100-Euro-Darlehen für die Bäuerin in den Anden ist auch ein romantisches Bild. Das alleine genügt nicht. Es braucht größere Projekte und Institutionen, um soziale Verbesserungen zu erreichen.
Banco FIE in Bolivien zum Beispiel, wo wir noch 7% haben, ist jetzt zu einer großen Bank gewachsen, mit einem Portfolio von über 760 Mio. Dollar. Aber die Kunden zahlen seit einigen Jahren weniger Zinsen, haben mehr Filialen in der Nähe und viel mehr Serviceangebote, Sparkonten beispielsweise.
Ist es schon einmal vorgekommen, dass Oikocredit eine Kapitalbeteiligung abgelehnt hat, vielleicht auch, weil die anderen Investoren nicht die gleichen Ziele verfolgten?
SH: Ja, obwohl eine Ablehnung immer eine schwierige Entscheidung ist und nicht leicht verständlich zu machen. Die Gründe sind vielfältig. Ehe wir entscheiden, prüfen wir sehr genau. Wir nehmen uns viel Zeit dafür. Wir engagieren uns nur in Unternehmen mit klarem sozialem Auftrag, die die Kapzität haben, zu wachsen. Wir schauen uns nicht nur die Konzepte an, sondern auch, wie zusammengearbeitet wird.
Das Interview führte Marion Wedegärtner, Oikocredit Westdeutscher Förderkreis