Gemeinsam sind wir eine Bewegung
Thos Gieskes ist seit einem halben Jahr Geschäftsführer von Oikocredit. Wir wollten von ihm wissen, wie er diese ersten Monate erlebt hat, welche Stärken und Herausforderungen er sieht und wie sich der zukünftige Weg der Genossenschaft gestalten sollte.
Wie waren die ersten sechs Monate bei Oikocredit?
Ich habe wirklich ziemlich viel erlebt im letzten halben Jahr. Es war eine tolle Erfahrung. Es mag etwas pathetisch klingen, aber ich brenne jeden Tag aufs Neue darauf, ins Büro zu gehen, zu sondieren, wo ich sinnvoll etwas beitragen und wie ich „Mehrwert” schaffen kann. Es ist wie ein Zuhause. Hier möchte ich sein. Ich habe den Großteil der vergangenen sechs Monate damit verbracht, nicht nur die verschiedenen Bereiche der Organisation, sondern auch unsere Kollegen und Kolleginnen kennenzulernen. Die Lernkurve ist nicht abgeschlossen, aber ich habe das Gefühl, dass sie allmählich flacher verläuft und ich mich auf meinen Beitrag und die Führungsarbeit konzentrieren kann.
Gab es Momente, die sich Ihnen besonders eingeprägt haben?
Es gab mehrere Momente, die ich inspirierend fand, sowohl bei Treffen mit Investoren und Investorinnen als auch mit unseren Kolleginnen und Kollegen und Partnern rund um den Globus. Beispielsweise war ich verblüfft, dass so viele Mitglieder an einem Samstag zu dem Jahrestreffen unseres Förderkreises Baden-Württemberg gekommen sind. Unsere Mitglieder sind offensichtlich sehr an der Arbeit von Oikocredit interessiert und möchten die Entwicklungen der Genossenschaft miterleben und mitgestalten.
Ein weiteres einprägsames Erlebnis in den ersten sechs Monaten bei Oikocredit: Während meiner Besuche in Ländern, in denen wir Partnerorganisationen finanzieren, habe ich in Costa Rica eine Kaffee-Kooperative kennengelernt. Ihre Arbeit hat mich enorm beeindruckt. Die Genossenschaft hat die Kaffeebäuerinnen- und bauern mit allem außer Kaffee versorgt. Sobald der Kaffeeanbau gut etabliert war, begann die Kooperative, die Bäuerinnen und Bauern beim Anbau anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu unterstützen. Kaffeeanbau sollte nicht das einzige Standbein der Menschen sein. Die Kooperative organisiert Schulungen für die Bäuerinnen und Bauern, Unterricht für ihre Kinder und vieles mehr. Zu sehen, wie diese Genossenschaft die aktuellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder beobachtet und Wege findet, sie bestmöglich zu unterstützen: So etwas spornt mich an.
Oikocredit arbeitet derzeit an der Aktualisierung ihrer eigenen Strategie. Können Sie uns einen Einblick in diesen Prozess geben?
Wir richten unsere Strategie nicht komplett neu aus, sondern wollen prüfen, worauf wir uns stärker konzentrieren können, wo wir unsere soziale und ökologische Einflussnahme verbessern und gleichzeitig unsere finanzielle Nachhaltigkeit sichern können. Um fokussieren zu können, brauchten wir Expertinnen und Experten, die uns Einblick und Perspektiven von außen geben können. Aus diesem Grund haben wir eine Strategieberatungsfirma mit Erfahrung im Bereich Impact Investing engagiert. Diese hat eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt und externe Informationen gesammelt, die uns dabei unterstützen können, uns in die richtige Richtung zu entwickeln.
Können Sie uns einige der Hausforderungen nennen, denen sich Oikocredit stellt?
Wie bei jeder anderen Organisation gibt es auch bei uns immer wieder Bereiche innerhalb der Organisation, die verbessert werden können. Einige der größten Herausforderungen, denen wir uns derzeit gegenübersehen, sind jedoch auf externe Faktoren zurückzuführen. Ein Beispiel ist das niedrige Zinsumfeld, das für eine Organisation wie Oikocredit, die ihre Finanzerträge vor allem aus Zinseinkünften erzielt, nicht förderlich ist. Auch der schwächer werdende US-Dollar wirkt sich auf unsere Arbeit aus. Ein Großteil unserer Kredite und Finanzerträge sind in US-Dollar, während unsere Anlegerinnen und Anleger vor allem in Euro anlegen und wir Dividenden in Euro auszahlen. Manchmal arbeiten Wechselkurse zu unseren Gunsten, derzeit wirken sie sich negativ auf unseren Haushalt aus. Aufgrund dieser Herausforderungen ist es unwahrscheinlich, dass wir für 2017 ein Finanzergebnis erzielen werden, das ausreichend ist, um eine Dividende von zwei Prozent aufrechtzuerhalten, an die sich unsere Investorinnen und Investoren gewöhnt haben.
Natürlich gibt es Faktoren, die wir beeinflussen können. Wir suchen zum Beispiel nach einer stärkeren Fokussierung und möchten die Effizienz steigern. Ich bin der Überzeugung, dass es sich in Bezug auf unsere soziale Wirkung und unsere finanziellen Ergebnisse auszahlen wird, wenn wir uns auf einige Nischen konzentrieren und in diesen Bereichen führend sind.
Auf welche Stärken kann Oikocredit bei ihrer Entwicklung bauen?
Zunächst einmal sind die Menschen, die hinter Oikocredit stehen, extrem stark. Damit meine ich nicht nur unsere Belegschaft. Es gibt mehr als 50.000 Einzelpersonen, die, entweder über Investitionen oder über ehrenamtliche Tätigkeiten, Oikocredit mitgestalten. Gemeinsam sind wir eine Bewegung. Das macht uns zu einer unverwechselbaren Organisation und einem äußerst starken und zuverlässigen Partner für die Organisationen, mit denen wir arbeiten. Es sind nicht die Finanzmärkte, über die wir uns definieren, sondern es sind das Engagement und die Ideale der Menschen, die hinter Oikocredit stehen. Eine weitere Stärke ist, dass wir in vielen Ländern auf mehr als 40 Jahre erfolgreiche Arbeit zurückblicken und aus umfassenden Erfahrungen schöpfen können. Wir haben weltweit solide Beziehungen zu den Menschen und Organisationen, mit denen wir arbeiten. Die Tatsache, dass wir langjährige Partnerschaften pflegen, sorgt für gegenseitiges Vertrauen.